Von Stuttgart nach Nischni Nowgorod

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Buch: Drei Jahre an der Wolga

Es hat ein wenig gedauert, aber jetzt ist es geschafft. Aus den über 100 Berichten, die wir in den Jahren 2014 bis 2017 verfasst haben, haben wir ein Buch gemacht. Es umfasst 256 Seiten, hat viele Fotos und ist im BoD-Verlag erschienen.

Drei Jahre an der Wolga – Unser russisches Abenteuer

Jochen Preuss, Rose Ebding

Preis 18, 90 €

ISBN 978-3-7519-7738-8

Kurzbeschreibung:

Meine Frau Rose Ebding und ich lebten drei Jahre in Nischni Nowgorod an der Wolga. Rose Ebding unterrichtete Deutsch an einem russischen Gymnasium, gemeinsam tauchten wir in das russische Leben ein, das wir in diesem Buch beschreiben. Das tägliche Leben, der Schulalltag, die langen Winter, Feste und Reisen, die orthodoxe Kirche und die Altgläubigen sind ebenso Themen wie aktuelle oder vergangene politische Ereignisse, Demonstrationen oder das Gulag-Museum. Natürlich geht es nicht nur um das Land, sondern auch um die Leute, um russische Lebensfreude, Gelassenheit und Gastfreundschaft. So entsteht ein vielseitiges, überraschendes, oft heiteres Russlandbild.

Das Buch ist im Buchhandel oder bei Amazon und demnächst auch als E-Book erhältlich.

Unser Russland-Abenteuer ist zu Ende

Eigentlich sollte der lange Bericht über unsere Kamtschatka-Reise der letzte sein. Aber wir haben in den letzten Wochen unseres Aufenthaltes in Nischni Nowgorod und dann an den drei Tagen in Moskau noch mehr oder weniger Bedeutendes erlebt, was uns so interessant erscheint, dass wir einiges davon berichten müssen/wollen.

Zu einem Abenteuer der besonderen Art entwickelte sich das Aufgeben eines Postpaketes mit Kleidung, Büchern und anderem Umzugsgut nach Deutschland. Wir hätten gewarnt sein können, denn „in Russland gibt es zwei Filialen der Hölle“, sagte Witali, unser Reiseführer auf Kamtschatka, „die Polikliniken und die Post“. Auf dem Postamt wurde alles, wirklich alles, was in das Paket kam, gezählt und gewogen: Ein Paar Schuhe 850g, 8 Stück Kosmetika 900g, 2 Souvenirs 500g, 50 Stück Kleidung 7,3 kg, 16 DVD 400 g, 30 Bücher 12,3 kg usw. usw. Die hinter uns Wartenden waren ebenso geduldig wie die uns bedienende Beamtin, die freundlich und entspannt die langwierige Prozedur abwickelte und immer mal unterbrach, wenn sie ihren Chef fragen ging, ob Medikamente verschickt werden dürfen (nein) oder wie Bücher zu behandeln sind. Letzteres fragte sie erst am Schluss und kam mit der Antwort zurück, dass Bücher getrennt verschickt und an einem eigenen Schalter aufgegeben werden müssen. Das hieß noch einmal Umpacken und noch einmal Anstellen. Dann wurden pro Sendung drei Formulare ausgefüllt, Adressen gedruckt und aufgeklebt. Nach fast eineinhalb Stunden verließen wir erleichtert die „Filiale der Hölle“. Die Pakete sollten in zwei Wochen bis in zwei Monaten in Erlangen ankommen. (Tatsächlich trafen sie schon nach zwei Wochen am Zollamt in Erlangen ein. Leider ist wohl bei einer nochmaligen russischen Kontrolle das Päckchen mit dem Iwan-Tee nicht wieder richtig verschlossen worden. Als ich das Paket vor dem Zöllner öffnete, stieg eine Duftwolke empor. In allen Kleidern steckten die kleinen Tee-Körnchen.)

Um im Bild zu bleiben: In Russland gibt es auch „Filialen des Himmels“. Eine davon erlebten wir am Sonntag (13. August) in Arsamas, einer 95 km südlich von Nischni liegenden Stadt. Dort war Kyrill I., der „Patriarch Moskaus und ganz Russlands“ zu Besuch. Nach einer Messe in der Kathedrale weihte er ein Denkmal zum 150. Geburtstag des in Arsamas geborenen Patriarchen Sergej (1867 – 1944) ein. Ein großes kirchliches Ereignis, vergleichbar mit einem Papstbesuch bei uns in Deutschland. Und wir waren mitten drin!

Zu verdanken hatten wir das „unserer“ Kira, der Kantorin der Alexander-Newski-Kathedrale, deren Chor bei den Feierlichkeiten sang. Mit dem Chor gelangten wir mit in die Auferstehungskathedrale. Diese und die umliegenden Plätze der Stadt waren weiträumig abgesperrt, nur durch Sicherheitsschleusen und nach Taschenkontrollen durch die reichlich vorhandene Polizei und andere Sicherheitsleute zugänglich. In der Kirche standen wir mit dem Chor nahe bei dem freigehaltenen Raum vor dem Ikonostas, vermutlich beneidet von den Massen an Gläubigen, die sich hinter den Absperrungen in der Kathedrale drängten und auf dem großen Platz davor, wo die Messe auf Großleinwand übertragen wurde.

Vor dem Gottesdienst in der Kathedrale von Arsamas

Während des Gottesdienstes

Während des Gottesdienstes war uns die Sicht durch die vielen Priester und Diakone versperrt, die sich in goldfarbigen Gewändern in langen Reihen aufstellten. In der Feier  verhielten sie sich für unser Empfinden entspannt und eher locker. Immer wieder mal verließ einer von ihnen seinen Platz, umarmte Freunde und Bekannte und plauderte kurz mit ihnen. Einer holte das Handy hervor, fotografierte seinen Patriarchen und den Chor hinter sich.

Kira in Aktion

Wir standen über vier Stunden neben dem Chor und überstanden die vier Stunden gut, gefangen von der feierlichen Atmosphäre und vor allem eingehüllt von den Gesängen des Chores und der Priester. Kira leitete den Chor energisch, unterstützt von ihrem Mann, einem ranghohen Geistlichen, der immer zum Altar blickte und ihr das Signal zum Einsatz gab.

Übergabe einer Ikone an die Gemeinde durch Patriarch Kyrill

Am Schluss folgte, wie in der orthodoxen Kirche üblich, eine Predigt. Der Patriarch sprach über das Leben von Sergej I., der in der Stalinzeit eine schwere, nicht unumstrittene Rolle zu spielen hatte. Kyrill übergab der Gemeinde eine Ikone von Sergej. Danach wurde mit einem im Wechselgesang oft wiederholten Ruf „Gratios, Gratios“ die lange Feier beendet.

Mittagessen in einer Kapelle

Der Chor – und damit auch wir – waren zu einem Mittagessen in einer innerhalb des abgesperrten Bereiches liegenden Kapelle eingeladen.

Straße in Arsamas

Den Nachmittag nutzten wir zu Spaziergängen durch die typisch russische Kleinstadt (105000 Einwohner) mit den flachen Häusern an breiten Straßen. Nach der Einweihung des Denkmals ging es in einem langen Stau zurück nach Nischni Nowgorod.

Noch ein paar Beobachtungen zu anderen Themen:

Überraschend hörte ich im Fitness-Center Fiskult zum ersten Mal deutsche Musik aus den Lautsprechern, die in den drei vergangenen Jahren den Raum sonst mit englischsprachigem und manchmal russischem Pop oder Rock ausfüllten. „Rosenrot, oh Rosenrot – tiefe Wasser sind nicht still“. klang es bedrohlich in dem dumpfen Sound der Band Rammstein. Wikipedia schreibt dazu: „Die zur „Neuen deutschen Härte“ zählende Gruppe Rammstein wird – obwohl bis heute immer wieder kontrovers betrachtet – mittlerweile in der internationalen Medienlandschaft mehrheitlich als einer der wichtigsten musikalisch-zeitgenössischen „Kulturexporte“ Deutschlands gesehen“. (Ende des bemerkenswerten Zitats). Wir haben häufig Plakate von deutschen und westlichen Rock- und Popbands gesehen, Beispiel „Skorpions“. Auch dieser Kulturaustausch klappt wenigstens noch in der verfahrenen politischen Situation.

Ankündigung eines Konzertes der Scorpions für den 9. November. Aufgenommen am 25. Juni 2017 in Jekaterinburg/Sibirien

Hier in Nischni sind in den drei letzten Jahren viele neue Wohnhäuser, einige Hotels und Einkaufszentren entstanden, denen die an Basare erinnernden Märkte und die alten typischen Holzhäuser weichen müssen. Ein besonders prächtiges davon fiel uns schon im Herbst 2014 mit dem Graffitispruch auf: „Дай жильё! Мы люди, а не крысы. – Gebt uns Wohnraum! Wir sind Menschen und keine Ratten“. Dieses Haus an der Slawanskaja Straße (Славанская Улица) und die Graffiti daran sind noch unverändert – ich habe es bei einem Abschiedsgang durch die Stadt wiederentdeckt.

Graffiti: Gebt uns Raum! Wir sind Menschen und keine Ratten.

Ab 15. August wurden die Fahrpreise für den öffentlichen Nahverkehr drastisch erhöht, jetzt kostet eine Fahrt mit Bussen und Bahnen 28 Rubel, bisher waren es 20 Rubel, bei der Seilbahn nach Bor 100 statt bisher 90 Rubel. Eine bessere Nachricht, wenn auch für uns ohne direkte Bedeutung, aber für die Stadt wichtig: die neue Wolgabrücke wurde dem Verkehr übergeben. Ein Segen für die Autofahrer in Richtung Norden.

Ein letzter Blick auf Oka, Wolga und die Strelka mit der Alexander-Newski-Kahtedrale in Nischni Nowgorod

Unsere letzten Abende in der schönen Stadt nutzten wir zu Abschieds-Spaziergängen an die von uns besonders geliebten Orte, an erster Stelle an das Oka-Ufer. Wie oft haben wir in den letzten drei Jahren dort gestanden und die majestätischen Flüsse bestaunt, die je nach Jahreszeit, Wetter und Sonnenstand anders aussahen. Wir bekamen eine Ahnung davon, was die Maler „das russische Licht“ nennen. Der Blick in die Ferne, die ruhige Stimmung, die Weite der Landschaft, das ist es, was wir vermissen werden.

Zum Abschluss unserer drei Jahre in Russland waren wir noch einmal drei Tage in Moskau, dieser unglaublichen, aufregenden und widersprüchlichen Stadt. Es war unser dreizehnter Besuch, aber der erste im Sommer.

Moskau: Warten auf den Einsatz

Moskau glich einer einzigen Baustelle. Viele Straßen und Bürgersteige wurden neu gepflastert, wohl schon als Vorbereitung auf den 760. Geburtstag der Stadt oder auf die WM 2018, auf das Ereignis des nächsten Jahres. Die kurze Taxi-Fahrt vom Kursker Bahnhof zu unserem Stamm-Hotel Budapest dauerte lange, Stau reihte sich an Stau.

Die Bürgersteige werden mit eleganten Platten belegt

Der Rote Platz war von einer riesigen Bühne für das Militärmusikfestival Spasskaja Baschnaja (Спасская Башная, benannt nach dem Kremlturm) am folgenden Wochenende vollgestellt. Es wurde schon eifrig geprobt. 22 Musik- und Folkloregruppen aus 12 Ländern nahmen teil, darunter auch deutsche und ukrainische (lt. Russischen Nachrichten). Im abgesperrten Gelände sahen wir eine Biker Gruppe (oder waren es zwei?) mit der schweizerischen und der australischen Flagge. Als Star im Eröffnungskonzert war Mireille Mathieu angekündigt.

Auf der Großen Moskwa Brücke standen an der Gedenkstelle für Nemzow noch immer Blumen, Fotos und ein Schild mit der Zahl der seit dem Mord vergangenen Tage: 909. Die Initiative will erreichen, dass die Brücke in Nemzow-Brücke umbenannt wird.

Seit dem Mord an Nemzow sind 909 Tage vergangen

Die drei Tage in Moskau nutzten wir bei angenehmem Sommerwetter zu Ausflügen in Parkanlagen und in die Umgebung.

Eine halbstündige Fahrt mit der Metro brachte uns vom Theater-Platz (Театралнaя Плошадь) zur Station Zarizyno (Царицыно), von der man in wenigen Minuten den gleichnamigen großen Park erreicht, in dem ein Schloss Katharinas der Großen steht. Der Park ist eines der beliebtesten Ausflugsziele der Moskauer, er soll an den Wochenenden überfüllt sein. Davon war bei unserem Besuch, einem Dienstag, nicht die Rede. Auf 25 ha gibt es zwei große Teiche, einen englischen Garten, einen Wald und auf einem Hügel das Schloss. Nach den anstrengenden Tagen in Nischni verbrachten wir dort ein paar entspannende Stunden im Museum über das Leben Katharinas, auf Spazierwegen und auf einer Wiese unter Bäumen, von der aus wir die Springbrunnen der Musikinsel sehen und klassischer Musik lauschen konnten.

See im Park Zaryzino

Das Schloss, das Katharina nie bewohnt hat

Dieser Park hat eine eigenartige Geschichte. Katharina wollte vor den Toren Moskaus eine Sommerresidenz errichten. Das vom Architekten Baschenow gebaute Schloss gefiel ihr nicht, sie ließ es 1785 wieder abreißen. Auch der zweite Versuch des Architekten Kasakow fand wenig Gefallen bei ihr, sie verlor das Interesse und die Arbeiten wurden 1793 eingestellt. Das Hauptgebäude, ein paar Pavillons und Brücken blieben halbfertig stehen. Kaum zu glauben, welche Launen sich eine Herrscherin damals leisten konnte! Im 19. Jh. wurden einige kleinere Gebäude im neogotischen Stil fertiggestellt, die Ruinen und der Park entwickelten sich zu einem beliebten Ausflugsziel. Nachdem ab 1858 hier Land für die Errichtung von Datschen freigegeben wurde, wurde Zarizyno zum Sommerdomizil für namhafte Persönlichkeiten aus Aristokratie und Kunst, u.a. Iwan Bunin und Andrej Bely. Auch Peter Tschaikowski und Anton Tschechow weilten hier, angezogen durch die romantischen Ruinen. Erst Anfang dieses Jahrtausend ließ die Moskauer Stadtverwaltung den Park und die Gebäude sanieren.

„Neben“gebäude in Zaryzino

Launen der Herrschenden gab es nicht nur bei den Zaren, die zeigten auch die neuen Herrscher nach der Oktober-Revolution, wie wir im Lenin- Museum in Gorki Leninskie (Горки Ленинские) mit einiger Verwunderung erleben konnten.

Die Anfahrt dahin entwickelte sich zu einem spannenden Erlebnis, weil wir wegen eines Missverständnisses mit dem Busfahrer über unser Ziel hinausfuhren. Der aus dem nächsten Ort gekommene Taxifahrer „weigerte“ sich, uns zum Lenin-Museum zu bringen, denn die Autostraße mache einen 10 km langen Umweg, was teuer sei, während es einen viel kürzeren Trampelpfad durch Gestrüpp gebe.

Rose in den russischen Wäldern

Er fuhr uns ein paar Meter zum Beginn des Trampelpfades, wo er uns absetzte, uns auf der anderen Seite eines tiefen Tales unser Ziel, den alten Herrensitz, zeigte und sich mit einem freundlichen „Do Swidanja“ das Geschäft einer längeren Fahrt entgehen ließ. Auf dem schmalen Weg durch Brombeerengestrüpp und Brennnesseln gelangten wir dann wohlbehalten zu Lenins Wohnsitz, dem heutigen Lenin Museum.

Hauptgebäude in Lenins Vorstadtresidenz

Lenin beschlagnahmte 1918 das der Familie Morosow-Reinbot gehörende Herrenhaus als Vorstadtresidenz für sich, was den Vorteil hat, dass es von den Bolschewiki nicht geplündert wurde und dort Möbel und Einrichtungen vom Beginn des 20. Jh. erhalten sind. Man kann sehen, in welchem Luxus die reichen Leute damals lebten und darüber staunen, dass dem auch der Führer der Weltrevolution nicht abgeneigt war. Alle Räume waren äußerst geschmackvoll eingerichtet. Lenin verbrachte hier während seiner Krankheit die letzten Monate seines Lebens, er starb am 21. Januar 1924.

Gorki Leninskie, das früher Wyschnie Gorki hieß, liegt 35 km südlich von Moskau und Lenin brauchte natürlich ein Auto, um zwischen den Orten pendeln zu können. Dazu kaufte er in England einen Rolls Royce Silver Ghost, den er für den Winter mit Raupenketten und Skiuntersätzen an den Vorderrädern ausrüsten ließ. Der Silver Ghost war das schnellste, leiseste und teuerste Auto der damaligen Zeit. Es fuhr im Originalzustand 125 km/h, mit den Raupenketten maximal 60 km/h und verbrauchte dabei 37 Liter Benzin pro 100 km. Uns kam anlässlich dieses Luxus unwillkürlich der Roman „Animal Farm“ von George Orwell in den Sinn, in dem es heißt „Alle Tiere sind gleich, manche sind gleicher“. Er schildert darin, dass die Anführer einer Revolution die Forderung nach Gleichheit schnell vergessen, wenn sie erst einmal an der Macht sind.

Lenins Rolls Royce „Silver Ghost“

In einiger Entfernung vom Herrensitz entdeckten wir unter dem Motto „Monumentale Propaganda in der SSSR“ eine interessante Ausstellung. Zum einen etwa 20 Skulpturen aus der Sowjetzeit, 15 Mal Lenin in allen bekannten Posen, drei von Stalin und je eine von Marx und von Engels. Zum anderen waren Schautafeln aufgestellt, die zeigten, wie Fotos in der Stalinzeit der politischen Opportunität angepasst, also gefälscht wurden. Unliebsam gewordene Personen, die nicht mehr mit Stalin oder Lenin gezeigt werden sollten, wurden aus der Aufnahme entfernt. Auch dieses erinnert an einen Roman von Orwell, an „1984″.

Gefälschte Fotos und ihre Originale

Unser letzter Ausflug in die Umgebung ging nach Peredelkino, einer Siedlung mit etwa 50 Datschen für verdiente Dichter und Schriftsteller der Sowjetunion. Wir fuhren die 20 km vom Kiewer Bahnhof mit einer „Elektritschka“, einem Vorortzug, hin und zurück für 64 Rubel, also für knapp einen Euro.

In der Elektritschka von Peredelkino nach Moskau

Die Datschen sind hier große Holzhäuser auf parkähnlichen, einen Hektar großen Grundstücken, bei deren Betreten man sofort von der ruhigen, besinnlichen Atmosphäre eingefangen wird. Hier könnte man die Muße finden zum Dichten und Schreiben – wenn es der politische Druck zulässt!

Datscha von Boris Pasternak

Das Haus von Boris Pasternak, dem Autor von Dr. Schiwago, ist als Museum eingerichtet. Man kann die Räume ohne Führung besichtigen, allerdings gefolgt von einer streng blickenden Aufpasserin. Die Einrichtung ist sehr spartanisch. Pasternak hatte in seinem Arbeitszimmer außer der Bibel und einem deutschen Wörterbuch keine Bücher. Er meinte „Ein Stuhl, ein Tisch, ein Bett, mehr braucht ein Dichter nicht – das weitere muss die Fantasie machen“.

Pasternak feiert den Nobelpreis für Literatur 1958

Nach der durch Chrustschow erzwungenen Ablehnung des Literatur-Nobelpreises 1958 erkrankte Pasternak an Lungenkrebs, er starb am 30. Mai 1960. Der seelische Druck war zu groß. Obwohl sein Tod offiziell verheimlicht wurde, kamen 5000 Menschen zu seiner Beerdigung.

Datscha von Tschukowski

Nicht weit entfernt das Haus von Kornej Tschukowski, einem der bekanntesten sowjetischen Kinderbuchautoren. Dieser folgte dem Aufruf Stalins und Gorkis, gute Kinderbücher zu schreiben – und blieb sein ganzes Leben dabei. „In der Stalin-Epoche geriet Tschukowski mit seinen Werken bei den Machthabern in Ungnade – auch und insbesondere mit etlichen seiner Kinderbücher, da unter anderem das Märchen von dem Riesenkakerlak von einigen regimetreuen Kritikern jener Zeit als ein Pamphlet gegen Stalin angeprangert wurde. Viele Werke Tschukowskis wurden daher verboten und erst in der Tauwetter-Periode nach Stalins Tod und der Machtergreifung Nikita Chruschtschows wieder freigegeben.“ (Wikipedia) 

Sein erstes Kinderbuch schrieb er schon 1916, es hieß „Das Krokodil“. Dieses wandert durch Russland und stellt so den jungen Lesern ihre Heimat vor. Hier konnten wir das Haus nur mit einer Führung besichtigen, die eine junge Frau in gutem Englisch lebhaft gestaltete. Alle Zimmer waren voller Bücher, seine eigenen, die in viele Sprachen übersetzt wurden, Bücher von Walt Whitman, die er ins Russische übersetzte, Bücher von befreundeten Schriftstellern, die Bücher, die er in den Wochen vor seinem Tod las…. Tschukowski pflegte enge Beziehungen zu Schriftstellern in Japan und in den USA. Er war auch mit Solschenizyn befreundet, der viele Jahre im Gulag verbrachte und vor seiner Ausbürgerung mehrere Wochen in Tschukowkis Datscha lebte.

Foto von Solschenizyn in Tschukowskis Bücherschrank

 

Wir verließen diese besondere Datschensiedlung mit gemischten Gefühlen: einerseits die idyllischen Häuser, Parks und Gärten, Orte der Besinnung und des schöpferischen Schaffens, andererseits der politische Druck, der die Bewohner zur Systemtreue zwang.

Die drei Tage in Moskau haben uns noch einmal den Zwiespalt zwischen der Politik der Regierung(en) und dem alltäglichen Leben der Menschen bewusstgemacht, in der Vergangenheit und heute. Die auffallend vielen, immer großen chinesischen Reisegruppen waren nicht zu übersehen. Ausschilderungen in Geschäften und auf den Speisekarten findet man inzwischen öfter in Chinesisch als in Englisch. Beides ist ein Zeichen für die Öffnung Russlands nach China, weg von Westeuropa, das – für uns unbegreiflich – dieser Entwicklung tatenlos zuschaut. Dabei sagen viele Russen selbst, dass sie zwar anders seien als die „Europäer“, aber sich in Kultur und Geschichte dem nahen Westen viel näher fühlen als dem fernen Osten.

Auf dem Boulevard-Ring war eine von der Stadt Moskau veranstaltete Ausstellung zur Geschichte der Russischen Eisenbahn zu sehen. Dort gab es auch ein Bild von der am 17. Dezember 2016 erfolgten Eröffnung der Zugverbindung Moskau – Berlin mit dem Zug „Strisch“, zu Deutsch „Mauersegler“. Ist das eine letzte Schwalbe der besseren Beziehungen zu Deutschland vergangener Jahre oder doch ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft? (Für die Ornithologen: Ich weiß, dass Mauersegler keine Schwalben sind.) Ob man heute noch einmal so ein Projekt beginnen würde?

Eröffnung der Zugverbindung Moskau – Berlin 2016

Wir waren auch hier in Moskau wieder berührt von der freundlichen Haltung vieler Russen gegenüber Deutschland. Oft hörten wir „Deutschland gut“, wenn wir erkannt wurden. Dies erlebten wir auch in Nischni bis zum letzten Tag immer wieder. Da haben die Verbrechen, die im Zweiten Weltkrieg verübt wurden und die Leiden, die Deutschland über die russischen Menschen gebracht hat, keinen Hass hinterlassen, auch wenn nichts vergessen ist. Und leider spüren wir auf deutscher Seite oft Ablehnung, Skepsis, Angst vor den Russen oder eine Haltung der moralischen Überlegenheit. Die drei Jahre in Russland haben uns gezeigt, dass dies falsch ist. Deshalb halten wir die persönlichen oder kommunalen Kontakte für so wichtig. Sie können mithelfen, eine Grundlage für bessere Beziehungen unserer beiden Länder zu schaffen. „Ich möchte nicht, dass meine Enkel einst in einem Europa leben, das nur noch ein amerikanischer Brückenkopf in einem chinesisch-russischen Eurasien ist. Ich möchte nicht, dass alter Hass und neuer Unverstand Russland in eine Allianz treibt, die es nicht will und die Europa extrem verletzbar und abhängig machen müsste“. Erhard Eppler in seiner Rede vom 22.6.2016 zum 75. Jahrestag des Beginns des Russland-Feldzuges.

Unser Russlandabenteuer hat ja noch handfeste Nachwirkungen: Im Oktober kommen die Schüler des Gymnasiums Nr. 1 aus Nischni Nowgorod mit dem Theaterstück „Komm wieder – aber ohne Waffen“ zu einer Tournee nach Deutschland. Die Termine für die Aufführungen werden wir noch mitteilen. Jeder ist herzlich eingeladen.

 

Gäste aus Stuttgart – Sternchenspiel und Prüfungen

02.06.2016

Nach den west-christlichen Pfingstfeiertagen besuchten uns fünf Freundinnen und drei Freunde aus Stuttgart. Das Programm: die Stadt Nischni Nowgorod, mit dem Schiff zum Makarjew-Kloster und anschließend mit dem Zug über Wladimir und Susdal nach Moskau. Angefüllte Tage mit eindrücklichen Erlebnissen liegen hinter uns. Was davon berichten? Alles wäre viele Worte wert!

Erhebend wie stets der Besuch eines orthodoxen Gottesdienstes in der Alexander-Newski-Kathedrale mit dem von unserer Freundin Kira Molewa geleiteten Männerchor. Die prachtvolle Kirche und vor allem der Gesang waren bewegende Erlebnisse, zumal einige unserer Gäste diese uralten Melodien zum erstem Mal hörten.

Die außer der Stadtbesichtigung zum Pflichtprogramm für Nischni-Besucher gehörende Fahrt mit der Seilbahn über die Wolga endete unerwartet: plötzlich auftretender starker Wind behinderte den Betrieb. Die Gondel blieb in fast 90 Meter Höhe stehen, 40 bange Minuten lang hatten wir schaukelnd Zeit, die Wolga unter uns und – etwas neidisch – den Betrieb der Autofähre zu beobachten. Langsam, sehr langsam ging es schließlich weiter bis in die Stadt Bor am anderen Ufer. Dann musste der Betrieb der Seilbahn endgültig eingestellt werden. Für die Rückfahrt blieb uns nur einer der vielen Busse, der uns für 40 Rubel (60 cts) die gut 15 km über die einzige Wolgabrücke zurück nach Nischni brachte.

Mit dem großen Schiff „Michael Frunse“ fuhren wir über Nacht zu dem 105 km Wolga-abwärts gelegenen Makarjew Monastyr.

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Das Makarjew Kloster

Wieder ein großes Kloster mit einer bewegten Vergangenheit: 1435 von dem Einsiedler Makari gegründet, im 16. Jh. von den Tataren zerstört, sank nach 1817 seine Bedeutung, weil man die Messe nach Nischni Nowgorod verlegte. In der Sowjetzeit wurde es nacheinander als Kinderheim, Lazarett und zuletzt als zooärztliches Technikum genutzt. Seit 1991 wiederaufgebaut, leben jetzt 16 Nonnen dort. Wir hatten Zeit zu einem kurzen Spaziergang in das nahegelegene Dorf, das mit seinen Holzhäusern, den sandigen Wegen und seiner Lage am Fluss unserem Bild von „typisch russisch“ entspricht.

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Das Dorf beim Makarjew Kloster

Bemerkenswert: In der Kajüte der Michael Frunse warb ein Prospekt für Rhein-Main-Kreuzfahrten im nächsten Jahr. Die Hoffnung auf ein wieder normales Verhältnis zu Deutschland lebt noch, auch bei russischen Reiseveranstaltern.

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Dimitri-Kathedrale in Wladimir

In Wladimir wohnten wir selbstverständlich im Erlangen Haus, wie immer freundlich empfangen und mit einem üppigen Frühstück verwöhnt. Eine redegewandte Stadtführerin zeigte uns die wichtigsten Sehenswürdigkeiten, die mit Reliefs verzierte Dimitri-Kathedrale, die Maria-Entschlafens-Kirche, die zur Zeit renoviert wird und das Goldene Tor.

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Susdal: Blick über die Kamenka auf das Maria-Schutz-Nonnenkloster

Mit einem gemieteten Bus fuhren wir nach Susdal (30 km), dem zweiten Juwel auf dem Goldenen Ring. Wir besichtigten – viel zu kurz wie immer bei solchen Touren – das Freilichtmuseum mit Windmühlen, Holzhäusern und Holzkirchen, den Kreml und den Marktplatz und das seit dem 19. Jh. als Gefängnis und jetzt als Museum genutzte Erlöser-Jewfimi-Kloster, wo wir ein eigenartiges Musikerlebnis hatten: Um 12 Uhr das Spiel auf den Glocken. Der Glöckner stand auf dem Glockenturm und arbeitete mit Händen und Füßen an Seilen, mit denen er die Klöppel an die Wände der Glocken schlug. Es erklang eine rhythmische Melodie – ungewöhnlich und mit den Glockenspielen in den westlichen Ländern nicht zu vergleichen.

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Susdal: 12 Uhr Läuten im Erlöser-Jewfimi-Kloster

Wir hatten das Glück, in Susdal vom Stadtoberhaupt Sergej Sacharow empfangen zu werden, der, wie Peter Steger  in seinem Blog >Erlangenwladimir.wordpress.com< schreibt, es sich nie nehmen lässt, Gäste aus Deutschland zu empfangen.

Von Nischni nach Wladimir waren wir mit der ‚Lastotschka‘ gefahren, dem von Siemens produzierten modernen Zug. Nach Moskau ging es mit einem russischen Fernreisezug, in Wagons wie bei der Transsib. Es hätte auch einem modernen schnelleren Zug gegeben, aber unsere Gäste wollten sich dieses Erlebnis nicht entgehen lassen. So bezogen wir unsere Liegewagenabteile, die Schaffnerin brachte das zu jedem Platz gehörige Bettzeug, (das wir nicht brauchten) und die Speisewagenbedienung ein Abendessen (leider abgepackt wie im Flugzeug). Wir tranken Tee aus den bekannten Gläsern mit den silbernen Haltern, Podstakanniki genannt.

Wenn das bisherige Programm schon voller neuer Eindrücke war, so kam es dann in Moskau noch geballter. In Nischni, auf der Wolgafahrt, in Wladimir und Susdal lief alles eher ruhig und besinnlich, hier war es prickelnd, aufregend und überwältigend. So hatte das keiner erwartet. Unsere Gäste sagten immer wieder, „wir haben uns das Leben in Russland und besonders in Moskau ganz anders vorgestellt.“ Sie waren von der Heiterkeit und Lebendigkeit überrascht. Für uns alte Hasen war das eine Genugtuung, denn es bestätigte unsere eigenen Erfahrungen.

Der gute Eindruck wurde auch durch die mühsame Stadtrundfahrt nicht sehr getrübt, denn die vielen Staus verschafften der Stadtführerin nach dem Standardprogramm die Zeit, uns über die hohen Wohnungspreise in Moskau zu informieren: 35000 Rubel Miete für eine 45 qm große Einzimmerwohnung am Stadtrand.  Doch die meisten Moskauer leben in Eigentumswohnungen, die nach der Wende vom Staat kostenlos den Bewohnern übereignet wurden. In den von ihr Goldene Meile genannten Luxusstraßen kostet jetzt in einer Eigentumswohnung der qm bis zu 60000 US-Dollar (z.Zt. ca. 4000000 Rubel). Kein Wunder in einer Stadt, in der man im Zentrum auf 30 Meter vier Bentleys geparkt sehen kann, alle mit Fahrer, die mit laufenden Motoren auf ihre Chefs warten. Von den dicken Mercedeslimousinen, den Wagen mit dem RR auf der Kühlerhaube, den Range Rovers ganz zu schweigen. Aber: es gibt noch genügend Autos von Normalbürgern, wie die immer verstopften Straßen beweisen. Deshalb ist die Metro das wichtigste Verkehrsmittel für die meisten Moskauer: Zugfolge alle zwei Minuten, mit der 20er Karte kostet eine Fahrt mit Umsteigen 32,50 Rubel.

Nur der Vollständigkeit halber: wir besichtigten den Friedhof beim Neujungfrauenkloster, konnten vom Panorama auf den Spatzenbergen einen Blick über die Stadt werfen und sollten den Roten Platz ausführlich erläutert bekommen. Daraus wurde nichts: eine Brücke war für blaulichtbegleitete Regierungsfahrzeuge gesperrt, nach langem Warten entschloss sich unsere Führerin lieber mit der Metro dorthin zu fahren. Das ging dann zwar schnell, aber die verlorene Zeit war nicht wieder einzuholen, sie musste zu ihrem nächsten Termin.

Von den Besuchen in den beiden Tretjakow Galerien – auch Pflichtprogramm in Moskau – zeige ich hier nur jeweils das Gemälde, das mich diesmal besonders beeindruckt hat. Immer wieder erstaunlich ist, dass man ohne Blitz fotografieren darf, was wir reichlich getan haben – mit dem Vorsatz, die Bilder zu Hause in Ruhe noch einmal zu betrachten. Wir waren zum zweiten Mal in den beiden Museen, haben vieles neu entdeckt und sind sicher, dass es noch viel zu entdecken gibt. Unsere Gäste waren überwältigt.

k-64. Ber (06)                                      In der neuen Tretjakow-Galerie: Bedrückendes Bild, fast eine Prophezeiung

Die neue Tretjakow Galerie liegt in einem Park an der Moskwa und zeigt russische Kunst des 20. Jahrhunderts von der Avantgarde der 1910 – 1920er Jahre bis hin zu zeitgenössischen Malern. In der verknöcherten Zeit des Sozialistischen Realismus gab es eine reiche Untergrundkunst mit beeindruckenden Bildern, die erst nach der Wende gezeigt werden konnten. Und danach eine Vielfalt der Stile und Inhalte. Eric Bulatow malte 2007 das ungewöhnliche Bild „Die Wolken wachsen“, dessen bedrohliche Ausstrahlung wie eine Prophezeiung für die heutige Situation wirkt.

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In der alten Tretjakow-Galerie

Die alte Tretjakow Galerie, nicht allzu weit weg vom Kreml gelegen, war viel stärker besucht als die neue. Vor dem Einlass stand eine lange Menschenschlange. Hier wird die russische Kunst vom 11. Jh. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zelebriert, so muss man fast sagen. Alles ist großartig ausgestellt und die vielen großformatigen Bilder kommen beeindruckend zur Geltung. Das Bild „Unerwartete Heimkehr“ von Repin hat zwar Normalmaße, beeindruckt aber durch seine Aussagekraft.

Zu einem Moskaubesuch gehört, wenn man Glück hat, eine Aufführung im Bolschoi Theater. Wir waren glücklicherweise am 8. März in Moskau und konnten so kurz nach Eröffnung des Vorverkaufs hervorragende Karten bekommen. Diesmal sahen und hörten wir die Oper „Boris Godunow“ von Modest Mussorgsky, die ein dramatisches Kapitel der russischen Geschichte behandelt: das Emporkommen des falschen Dimitri (oder des richtigen, das weiß bis heute keiner so genau), der mit Hilfe der Polen Russland besetzte, was die Zeit der Wirren einleitete, die erst 1612 mit dem von Minin und Poscharski geführten Aufstand endete. Es ist wieder müßig, über die musikalische und künstlerische Qualität zu reden. Es handelte sich um die 720. Aufführung seit 1881 und um die 465. in dieser Inszenierung von 1948, die mit ihren Massenszenen und den realistischen, üppigen Bühnenbildern typisch russisch war. Manche Zuschauer störten, weil sie während der Vorstellung mit ihren Handis fotografierten oder gar SMS verschickten – kaum zu fassen!

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Der Rote Platz am 27. Mai 2016 um 21.37 Uhr. Diesmal ohne Buden oder Bühnen.

Moskau wird renoviert. Auf vielen, sehr vielen Straßen und Plätzen waren die Bauarbeiten durch lange Absperrungen verdeckt, die aus fast durchsichtigen Gazetüchern bestanden und mit den Bildnissen von Musikern, Schriftstellern und anderen berühmten Menschen bedruckt waren. Auf dem Straßenpflaster häufig zu lesen: „Der Aufschwung kommt“ (Рост будет).

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Bauzaun mit Portraits: hier des Gründers des Feinkostladens Jelissejew

Im großen Wysoko-Petrowski-Kloster (1380) an der Petrowka Ulitza befinden sich vier Kirchen, darunter eine alte, von außen baufällig wirkende kleinere, die uns innen mit ungewöhnlichen Ikonen aus Keramik überraschte. Zu Sowjetzeiten waren im Kloster Fabriken untergebracht, jetzt ist hier die Verwaltung des Patriarchenseminars.

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Ikonostas mit Keramik-Ikonen im Wysoko-Petrowski-Kloster

In das Museum für moderne Kunst an der Petrowka Ulitza, einer der vier Standorte des MMOMA (Moskauer MOMA), wollten wir morgens zu zeitig –  es war noch geschlossen doch der Garten mit Arbeiten des Bildhauers Surab Zereteli konnte besichtigt werden: Große Bronzefiguren, witzig die „Stadtmenschen“, bedrückend die „Erinnerung an die Opfer des Gulag“.

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Surab Zereteli: Stadtmenschen

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Gedenken an die Opfer des Gulag

Auf der Bolschoi Moskworetschki Brücke wird nach wie vor an die Ermordung von Boris Nemzow erinnert. Die Zahl der seit dem Mord vergangenen Tage, (454) wird auf einem selbst gefertigten Plakat immer noch täglich angezeigt. Viele frische Blumensträuße stehen an der Brückenmauer.

Für uns „Dauergäste in Russland“ war die Zeit mit unseren Freunden aufregend und befriedigend. Wir haben mit Sympathie deren Reaktionen auf die Besonderheiten des Lebens hier beobachtet, die unangenehmen (wie die Löcher auf den Gehwegen, Vorspeisen nach dem Hauptgang serviert…) oder die angenehmen (wie die überaus freundliche Aufnahme durch die hiesige Bevölkerung, die Musik, die Kunst, die Architektur, das Land…)

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Leihfahrräder– solche Stände gibt es an vielen Stellen in Moskau. Am Boulevard-Ring waren alle Räder unterwegs, sehr schade. Radfahren in Moskau wäre mal was Neues gewesen

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Bauzaun an einer Straße auf dem Boulevard-Ring

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Schachspielen in einer Parkanlage auf dem Boulevard-Ring, jeden Samstag und Sonntag ab 13 Uhr

 

Schulnotizen – Sternchenspiel und Prüfungen

Auch die letzten Wochen des Schuljahres waren angefüllt mit Prüfungen. Als DSD-Lehrerin habe ich zwei weitere Prüfungsformate an unserer Schule eingeführt, die die jüngeren SchülerInnen auf das Deutsche Sprachdiplom vorbereiten sollen. „So geht’s zum DSD“ heißen die Prüfungen in Klasse 7; „Sternchenspiel“, ausdrücklich nicht „Prüfung“ heißt es für die Viertklässler, die seit der 2. Klasse und damit 374 Stunden Deutsch hatten. Für mich waren diese Formate interessant, weil sie zeigen, wie konsequent auf das „Endspiel“ in Klasse 11 vorbereitet wird. Auf jeder Ebene werden Hörverstehen, Leseverstehen, schriftliche Kommunikation und mündliche Kommunikation geprüft. Nur die Inhalte variieren entsprechend dem Niveau.

Etwas für’s Herz waren die mündlichen ‚Prüfungen‘ für die Kleinen, ein Gruppenspiel: In der Mitte des Tisches lagen verdeckt Themenkarten, die die sechs Kinder der Gruppe der Reihe nach ziehen mussten. Themen waren z.B. mein Lieblingsspielzeug, Weihnachten, mein Zimmer, mein Haustier, mein Hobby, meine Familie, Ferien…. über die ca. zwei Minuten gesprochen werden musste. Danach zogen die anderen Gruppenmitglieder Fragekarten und stellten Fragen. Ich war die Spielleiterin, im Hintergrund saßen die zwei Deutschlehrerinnen der Klasse als Beobachterinnen und machten Notizen als Grundlage für die Notenfindung nach jeder Spielrunde. Wie man den Fotos entnehmen kann, war die Stimmung bestens, nicht nur bei der Prüfung, sondern auch bei der Preisverleihung.

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 Das Sternchenspiel

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Die Preisverleihung

Auch die staatlichen Prüfungen sind seit Ende Mai in vollem Gange. Die Neuner machen eine Abschlussprüfung am Ende der Schulpflichtzeit, die Elfer Abitur. Damit keinerlei Unregelmäßigkeiten passieren können, gehen alle Schüler für die Prüfungen in Begleitung ihrer Lehrer an eine andere Schule, wo sie abgegeben und von den Lehrern der Gastschule beaufsichtigt werden. Mein Gymnasium beherbergt in diesem Jahr fünf geistig oder körperlich behinderte Schüler bei ihrer Abschlussprüfung. Die Kinder werden an verschiedenen Tagen in Mathe, Russisch etc. geprüft. Einen Tag vor jeder Prüfung werden die Prüfungsräume vorbereitet, dann alle Räume der ganzen Schule (nicht nur die Prüfungsräume für die fünf Schüler!) von Inspektoren kontrolliert und versiegelt. Stichpunktartig kommen sogar Inspektoren aus Moskau – wir hatten heute die Ehre. Während der Prüfungen darf nur das Aufsichtspersonal und der Schulleiter in der Schule sein.

Ärgerlich nur, dass wir erst seit Ende letzter Woche wissen, dass wir Prüfungsschule sind. In meinem Fall hat das zur Folge, dass der für die ersten zwei Juniwochen geplante DSD-Intensivkurs nicht nur während der Prüfungstage, sondern jeweils auch am Vorbereitungstag nicht stattfinden kann. So erreichte mich letzten Donnerstag die Mail, dass der Eingangstest für meinen Kurs von Montag auf Mittwoch verschoben werden müsse. Als ich jedoch am Mittwoch mit meinen Schülern den Test schreiben wollte, wurde uns das kurzerhand untersagt, da man gerade erneut am Versiegeln war. Meine Schüler wurden erst einmal auf Freitag vertröstet und heimgeschickt. In dieser Notlage kam meine stellvertretende Schulleiterin auf die rettende Idee, uns in die Grundschulfiliale zu verlagern. Besser spät als nie – drei Tage hatten wir schon verloren. Überraschend für mich bei der Situation war nicht nur die Kurzfristigkeit der Planung, sondern auch, wie gelassen die 16 Schülerinnen und Schüler die Nachricht aufnahmen, dass ihre Prüfung erst zwei Tage später stattfinden würde. Per vkontakte (die Entsprechung zu Facebook) teilte man ihnen dann mit, dass doch nicht am Freitag, sondern schon am Donnerstag in der Grundschule geschrieben würde. Und siehe da: alle waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort! Fazit Nr. 1: Hier geht es manchmal chaotisch zu. Fazit Nr. 2: Man ist flexibel und kann damit umgehen.

Weihnachtskonzert und kein richtiger Winter in Nischni Nowgorod

Den ersten Bericht nach unserem Weihnachtsurlaub in Deutschland wollte ich gleich am zweiten Tag nach unserer Ankunft abschicken. Dafür hatte ich schon einen nicht zeitgebundenen Text vorbereitet. Aber wir hatten einige Tage keinen Internet-Anschluss, in denen schon wieder so viel Berichtenswertes passiert ist, dass der andere Bericht warten muss.

Unsere Rückreise am Samstag, den 10. Januar 2015 verlief wieder ohne Probleme. Amüsant war diesmal die Kontrolle meines Passes in Frankfurt. Der junge Beamte fragte mit einem Blick auf den Dienstpass und auf mein Gesicht (gemeint ist mein Alter): „Und sie reisen dienstlich nach Russland?“ Ich klärte ihn darüber auf, dass, wie im Dienstpass zu lesen, meine dienstliche Funktion darin besteht, Ehemann der Lehrerin in Nischni Nowgorod zu sein. Die Einreise nach Russland am Moskauer Flughafen Scheremetjewo war, wie schon die letzten Male, ohne große Formalitäten: man braucht keine Fragebögen auszufüllen und muss keine Fingerabdrücke abgeben. Bei der Passkontrolle wird ein Einreisepapier per PC vom Beamten ausgefüllt. Und für den Zoll gibt es eine „Green Line“.

Am Flughafen in Nischni wurden wir von Winterwetter mit leichtem Schneefall und – 6 Grad empfangen. Die Straßen waren leicht mit Schnee bedeckt und glatt, aber das Taxi hatte Spikesreifen und so kamen wir sicher in unsere Wohnung.

Am nächsten Tag, Sonntagmittag, rief unsere Freundin Lena an: Wir seien von Kira, der Kantorin an der Alexander-Newski-Kathedrale, zu einem besonderen Ereignis in ihre Kirche eingeladen, zu einem weihnachtlichen Chorkonzert. Da war die Reisemüdigkeit schnell vergessen – kaum in Russland, wartete schon wieder eine Überraschung auf uns.

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Als wir dann kurz vor drei Uhr in die große Kirche kamen, war diese schon so voll, dass wir die für uns reservierten Plätze nicht erreichen konnten. Die Menschen standen dicht gedrängt. Aber Kira schickte uns auf die kleine Empore, die wir von unserem ersten Besuch schon kannten. Das war wieder ein großes Entgegenkommen, denn von dort hatten wir Sicht auf die ganze Kirche unter uns, besser als von den Sitzplätzen. Acht Chöre hatten sich im Kreis aufgestellt, vielleicht 250 Sängerinnen und Sänger, darunter der städtische Kammerchor, der akademische Chor der Autofabrik GAS, Frauen- und Kinderchöre und natürlich Kiras Männerchor der Newski-Kathedrale.

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Acht Chöre beim Weihnachtskonzert 2015 in der Newski Kathedrale

 

Zum Einzug des Metropoliten sangen alle Chöre gemeinsam einen kurzen Choral. Bei der guten Akkustik und den vielen Stimmen ein erregendes Erlebnis.  Nach einem Segen für die Anwesenden begann das Programm. Die einzelnen Chöre trugen abwechselnd ihre Lieder vor.  Das Konzert war musikalisch sehr farbenreich, auf alte Gesänge folgten modern anmutende Lieder, Kinder trugen kurze Texte vor. Die musikalische Qualität war wie immer hoch – das braucht hier gar nicht besonders erwähnt zu werden. Es ist in dem sangesfreudigen Russland selbstverständlich.

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Glocke auf dem Vorplatz der Alexander Newski Kathedrale

Zum Schluss hielt der Metropolit eine kurze Ansprache und verteilte erst an die Dirigentinnen und Dirigenten und dann an alle Chormitglieder Geschenke. Während dessen sangen die nicht beteiligten Chöre weiter. Kiras Männerchor stimmte außerhalb des Programms in Russisch „Stille Nacht“ an und sang auch eine Strophe in Deutsch. Kira sagte uns hinterher, dass dies ein spontaner Einfall war, da die Verteilung der Geschenke länger dauerte als erwartet. Der deutsche Text schien den Sängern keine Schwierigkeiten zu bereiten. Nach den Feierlichkeiten wurde am Vorplatz von zwei Popen die große Glocke geläutet, indem sie den schweren Klöppel gegen die Glockenwand schwangen. Dann erhielten wir von Kira noch eine Einladung für Montagabend zu einem Abendessen bei ihrer Schwiegermutter. Wir sind in Russland!

 

Am nächsten Tag, Montag, widerfuhr mir auf dem Rückweg vom Fitnesscenter wieder das Ungemach, dass die Straßenbahn „2“ statt die übliche Strecke zu fahren, ins Depot abbog. Zwar hatte die Fahrerin laut etwas gerufen, als ich einstieg – aber das verstand ich nicht. Jedenfalls fuhr ich so weit wie möglich mit, stieg, als ich das Abbiegen bemerkte, beim nächsten Halt aus und lief in der Hoffnung auf eine Abkürzung Richtung Gorkiplatz. Plötzlich befand ich mich auf einer riesigen Baustelle. Ein Arbeiter wies mir den Weg durch eine Bauarbeitersiedlung, kleine Buden, eng gestellt, Spuren im Schnee zeigten mir, wie laufen musste. Ich war froh, als ich nach einiger Zeit eine normale Straße erreichte, zu der ich mich allerdings vorbei an geparkten Autos durch riesige Schneehaufen kämpfen musste. An den Straßenrändern wandelt sich der Schnee wegen des Tausalzes und der Temperaturen um Null Grad in eine wässrige Pampe, der man nicht entgehen kann. Dichte Schuhe sind wirklich nötig – und die haben wir. Das warme Wetter ist völlig unnormal, aber der Wetterbericht sagt schon wieder Frost voraus. Wir sind in Russland!

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In der Vostochny-Bank am Gorkiplatz konnte ich nur 5000 Rubel aus dem Automaten ziehen. Im Oktober waren es noch 20 000 gewesen, danach bis Weihnachten 10000!  Andererseits konnten wir am nächsten Tag in der CITIBank Russia 10000 Rubel abheben, wo wir im Herbst nur 7000 Rubel bekamen. Laut Kontoübersicht erhielten wir von der Vostochny Bank vor Weihnachten 74 Rubel, nach Weihnachten 71 Rubel pro Euro.  Bei den ersten Einkäufen von Lebensmitteln (Brot, Butter, Wurst, Milch, Kefir, Smetana u.ä.) nach unserer Rückkehr haben wir keine Preiserhöhungen bemerkt.

Die Einladung am Montag brachte uns ein typisch russisches Abendessen. Typisch wohl auch die Uhrzeit: wir sollten uns um halb sechs einfinden..Der Tisch war voller Speisen, Tomaten, Pilzsalat, Piroschki und anderes Gebäck. Gebratene Fischhappen wurden gereicht. Als Hauptgericht gab es Schweinebraten mit Kartoffeln und Kürbisgemüse. Zum Nachtisch Torte mit Jasmin-Tee. Alles schmeckte bestens. Wodka wurde keiner angeboten, dafür Sekt und für mich ein Apfelgeist – zum Anstoßen vor dem Essen. Doch das alles ist gar nicht das Wichtigste. Das  Wichtigste sind die Herzlichkeit, die selbstverständliche Gastfreundschaft und die unbekümmerte Fröhlichkeit, mit der das alles geschieht. Da wird gelacht und geredet. Kiras kleine Tochter spielt plötzlich ein paar Töne am Klavier. Da heißt es nicht „Hör auf“, sondern man freut sich und unterbricht halt die Unterhaltung für einen Augenblick. Es herrscht ein lustiges Durcheinander und alles läuft trotzdem ganz gut. Dann zeigten die beiden Jungen von Kira am Klavier und mit dem Saxophon ihr Können. Ich war gebeten worden, meine Blockflöte mitzubringen, weil die Gastgeberin, eine ehemalige Klavierdozentin an der Musikhochschule, mit mir musizieren wollte. (Für meine Flötenfreunde in Deutschland: Dies war seit langer Zeit das erste Mal, dass ich wieder eine Flöte in der Hand hatte. Es soll nicht das letzte Mal bleiben, da der Versuch mit einfachen Stücken erfolgversprechend verlief). Vergnügt, erfüllt und beglückt gingen wir durch den lauen Winterabend nach Hause, wo wir gegen neun Uhr, also für deutsche Verhältnisse sehr zeitig, eintrafen. Wir sind in Russland!

So begann für uns das neue Jahr in Nischni Nowgorod und wir hoffen, dass wir noch viel erleben werden. Pläne dafür haben wir in Fülle!